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Leben nach dem Tod
Von Eberhard Busch
1 Die Wirklichkeit des Todes
2 Die Bitterkeit des Todes
3 Die Begrenzung des Todes
4 Das Jenseits des Todes
Im Grunde ist alles Nötige zu dem mir gestellten Thema gesagt in der Frage 1 des Heidelberger Katechismus: »Das ist mein einziger Trost, daß ich mit Leib und Seele, beides im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre, der mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkommen bezahlt und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst hat und so bewahrt, daß ohne den Willen meines Vaters im Himmel kein Haar von meinem Haupt fallen kann, ja mir alles zu meiner Seligkeit dienen muß. Darum versichert er mich auch durch seinen Heiligen Geist des ewigen Lebens und macht mich willig und bereit, ihm fortan zu leben.«
In meiner Pfarrertätigkeit habe ich diese Worte an jedem offenen Grab mit den Trauernden gesprochen. Diese Worte gehören nicht nur an Gräber. Aber sie gehören auch dorthin, weil sie zusammenfassen, welche Hoffnung wir im christlichen Glauben haben dürfen angesichts des Todes, der auf uns alle wartet. Grundsätzlich mehr als das werden wir zur Frage nach dem »Leben nach dem Tod« nicht sagen können, wenn wir uns nicht gewissenlosen Spekulationen hingeben wollen. Müßten wir grundsätzlich weniger sagen als das, so bliebe uns wohl nur übrig, uns in tapferer oder verzweifelter Resignation der Allgewalt des Todes zu beugen. Aber sagen diese Worte genug, um uns zuverlässig und tröstlich Antwort zu geben auf die sich hier aufwerfende Frage?
Diese Frage stellt ja allem Anschein nach alles in Frage. Wir werden sterben – »lebenssatt« oder allzufrüh, mit brutaler oder mit sanfter Hand. Ist es unsicher, wie und wann, so ist es sicher, daß das auf uns zukommt. Wir alle werden sterben – Hohe und Niedrige, Verbrecher und Heilige. Jede Geburt bedeutet den Beginn des Laufs diesem Ende entgegen, bedeutet auch den Beginn der Flucht vor diesem Ende. Sie wird aber einmal vergeblich gewesen sein. Sterben heißt, daß es unwiderruflich zuende geht mit diesem Lauf und mit dieser Flucht. »Hin geht die Zeit, her kommt der Tod.« Und kommt er, so ist unsere Zeit vergangen. Und aller Protest: »Das kann doch nicht alles gewesen sein!«, nützt dann gar nichts, denn die eisige Majestät des Todes sagt nur eben, daß das für uns alles gewesen ist.
Daß sie nur das sagt, bedeutet auch, daß es uns hier die Sprache verschlägt. »Der Tod ist stumm. Und macht stumm.« (1) Auch uns Noch-nicht-Gestorbene, wenn wir denn einmal nicht umhin können, auf Schon-Gestorbene zu blicken. Aber genau angesichts dessen hat uns die Bibel etwas zu sagen. Wenn sie gerade hier redet und nicht verstummt, so ist das schon verwegen. Aber es ist nicht die Verwegenheit des vor dem Tod fliehenden Menschen, der sich über die Tatsache des Todes hinwegredet. Bei dieser Art Verwegenheit pflegen wir unsere Verlegenheit mit Illusionen zu überspielen. Es geht um die Verwegenheit des Glaubens, der da, wo der Tod stumm macht, ein Wort hört: das Wort Eines, der angesichts des Todes und ihm zum Trotz redet, weil er da, wo es mit uns zu Ende geht, seinerseits nicht am Ende ist. Die Worte der Bibel sind eine Antwort auf dieses Wort. Um die Antwort auch nur annäherungsweise nachvollziehen zu können, müssen wir einen langen Weg gehen.
1 Die Wirklichkeit des Todes
Wir haben uns zunächst sagen zu lassen: Wir sterben wirklich und nicht bloß scheinbar. Der Tod beendet unser irdisches Leben und unterbricht es nicht bloß. Er setzt einen Schlußstrich hinter unser irdisches Leben und ist nicht Übergang zu einer Fortsetzung unseres Lebens, vielleicht unter verbesserten Umständen. Alle Vorstellungen von einem »Leben nach dem Tod«, die die unerbittliche Wirklichkeit des Todes bagatellisieren, machen uns falsche Hoffnungen. Und wenn wir es sonst nicht wahrhaben wollen, daß der Tod unser Ende ist, so klärt uns doch das Wort Gottes im biblischen Zeugnis darüber auf. Dieses Wort schwächt die Wirklichkeit des Todes nicht ab. Es sagt uns, daß wir sterben müssen und daß das bedeutet, daß wir dann keine weitere Zeit mehr haben.
Das ist darum zu betonen, weil hier das christliche Denken seit Jahrhunderten tief überfremdet wurde vom alt-griechischen Denken. Demnach setzt sich der Mensch zusammen aus einem sterblichen Leib und einer unsterblichen Seele. Wie der auf das Vergängliche gerichtete Leib selbst vergänglich sei, so sei die auf Unvergängliches gerichtete Seele selbst unvergänglich. Deshalb sei der Tod nur ein Auseinandergehen des Sterblichen und Unsterblichen im Menschen. Ja, er sei die »Erlösung« der unsterblichen Seele von der Last des sterblichen Leibs. In seinem Tod, sagt Plato, stirbt »das Sterbliche an ihm, das Unsterbliche ... jedoch zieht wohlbehalten ab, dem Tod aus dem Wege« (2). Wieviele Trostsprüche und Grabinschriften zehren noch heute von diesem platonischen Erbe!
Die Bibel denkt aber nicht auf dieser Linie. Um hier den Unterschied der biblischen Sicht von der der griechischen auch nur wieder zu sehen, haben wir zu beachten, daß es nach Ps. 90,12 der Gegenstand einer uns nötigen Bitte zu Gott ist (wie Luther sinngemäß übersetzt): »Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen.« Wir – unser ganzer Mensch, der sich nicht in die Teile eines sterblichen Leibs und einer unsterblichen Seele aufspalten läßt, der nach Leib und Seele von beidem, von Leben und Sterben betroffen ist (3). Nach biblischem Denken ›hat‹ der Mensch nicht eine Seele. Er ist die Seele seines Leibs, d.h. eine lebendige Person. Er ›hat‹ auch keinen Leib, beides ist nicht Besitz des Menschen. Beides ist Gabe. Gott als »die Quelle des Lebens« (Ps. 36,10) gibt das Leben und nimmt es dann wieder. Nimmt er es, so hat der Mensch seine Zeit gehabt.
Im Tod sind wir »wie Wasser, das auf die Erde geschüttet wird und das man nicht mehr fassen kann« (2. Sam. 14,14). »Die Wolke entschwindet und geht dahin; so kommt nicht herauf, wer ins Totenreich stieg. Er kehrt nicht wieder zu seinem Haus und seine Stätte kennt ihn nicht mehr« (Hi 7,9f.). Keine Rede davon, daß der Tod eine Erlösung sei, wie man in manchen Todesanzeigen liest! Er ist nur eben Ende. »Nackt bin ich aus meiner Mutter Schoß gekommen und nackt werde ich wieder dahingehen« (Hi 1,21). Nackt, weil aus dem Verkehr gezogen mit den Lebenden, ja, aus dem Verkehr mit Gott. Da werde ich »den Herrn nicht mehr sehen« (Jes. 38,11). »In der Unterwelt gibt es nicht Schaffen, noch Planen, noch Erkenntnis mehr« (Koh. 9,10). Da sind wir »im Lande des Vergessens« (Ps. 88,11f.). Keine Verklärung, keine Verharmlosung des Todes. Er ist die unübersteigbare Grenze unseres Lebens.
Und diese Grenze ist unheimlich: so sehr, daß das Leben mit Segen, der Tod mit Fluch gleichgesetzt werden kann (Dt. 30,19). Daß das Leben »der höchsten Güter nicht« sei (Schiller) (4), kann auf dieser Linie nicht gesagt werden. Doch, es ist der Güter höchstes (5). Gewiß nicht das Leben abgesehen von Gott als der »Quelle des Lebens«! Ein von dieser Quelle abgeschnittenes Leben wäre eine Vorabschattung des Todes, in dem man Gottes nicht gedenkt (Ps. 6,6). Insofern heißt es: »Deine Güte ist besser als Leben« (Ps. 63,4l), weil ohne sie allerdings das Leben nicht der Güter höchstes wäre. Darum hängt sich der Beter angesichts der nach ihm greifenden Todesschatten an diese Güte, so wie er es im Tode nicht mehr kann: »Dennoch bleibe ich stets bei dir« (Ps. 73,23). Es bleibt auch so dabei, wie es Koh. 9,4 im Sprichwort sagt: »Ein lebendiger Hund ist besser als ein toter Löwe.«
Es entspricht dieser Sicht des Todes, daß von da her das Leben in einer doppelten Weise gesehen wird. Auf der einen Seite wird dadurch das uns gegenwärtig beschiedene Leben wichtig gemacht. Nicht im Sinn der blöden Lebensgier, die in Wahrheit das Leben verfehlt: »Laßt uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot« (Jes. 22,13). Aber im Sinn der besonnenen Bejahung des Lebens mit seinen Werktagen und seinen Feiertagen. Und im Sinn der weisen Respektierung der eigenen Lebenszeit und der der Anderen als einer uns geschenkten einmaligen Gnadenfrist. Mit Koh. 12,1–8: »Sei deines Schöpfers eingedenk in der Blüte deines Lebens ..., ehe die Sonne sich verfinstert ..., wenn das Zwitschern der Vögel erstirbt und alle Töchter des Gesanges verstummen.« Sei Gottes eingedenk, indem du die Sonne siehst und das Zwitschern hörst und unterdes das Deine tust!
Aber auf der anderen Seite: Von jener Grenze unseres Lebens her fällt ein Schatten in unser gegenwärtiges Leben hinein. »Dieweil ich leb auf dieser Erden, leb ich in steter Todsgefahr.« Der Tod hat etwas wie eine immer schon nach uns greifende Hand (Ps. 89,49). Und die Unterwelt hat gar einen »gierigen Schlund und sperrt auf ihren Rachen über die Maßen« (Jes. 5,14). »Der Tod ist unersättlich« (Hab. 2,5). Krankheit, Einsamkeit, Gebundenheit sind Zeichen dieser Hand. Und ihr Greifen macht, daß unser Leben stets auch ein sorgenvolles ist: eines, in dem wir uns dagegen wehren müssen, daß uns diese Hand in den Griff nimmt, wohl auch wehren dürfen, aber immer nur vorübergehend wehren können, bis wir es nicht mehr können.
Ich habe jetzt nur aus dem Alten Testament zitiert. Im Neuen Testament wird noch etwas Anderes dazu gesagt. Aber dieses Andere besteht nicht darin, daß dadurch die Bedeutung des Todes als unseres Lebensendes abgeschwächt wird, etwa gar in Richtung der Behauptung nun doch eines unsterblichen Kerns des Menschen. Nach 1.Ti. 6,16 hat Unsterblichkeit Gott »allein«. Darin stimmt das Neue mit dem Alten Testament überein. Und so bedeutet die dort bezeugte Menschwerdung des Sohnes Gottes schon als solche die Entscheidung darüber, daß auch er damit der lebensbeendenden Gewalt des Todes ausgeliefert wurde. Das besiegelt das, was der Tod kann. Und daß Jesus mit einem Schrei starb und nicht mit dem heiterem Lächeln des griechischen Weisen Sokrates bekundet auch sein Wissen, daß der Tod Beendigung und nicht Erlösung ist.
2 Die Bitterkeit des Todes
In der Bibel kann der Tod ein Fluch genannt werden, ein Unheilvolles, das man sich nicht wünschen, das man nur fürchten und fliehen kann. Da ist offenbar noch etwas Unausgesprochenes, das sich dagegen sperrt, unseren Tod als etwas Normales und Natürliches zu begrüßen. Da ist etwas, was den Tod erst recht zur Schreckensherrschaft erhebt und was uns das Sterben bitter und den Tod befremdlich macht. Er hat einen Stachel, den auch die ahnen mögen, die mit jener Lebensgier sich die Zeit totschlagen, bis die Zeit sie totschlägt. Aber wir müßten diesen Stachel genau sehen, um wie von der verkehrten Lebensgier, so von der verheerenden Todesangst befreit zu werden. Sehen wir ihn?
Vielleicht hat sich ja in neuerer Zeit die Nichtigkeit der griechischen Vorstellung von einem unsterblichen Teil des Menschen etwas herumgesprochen. Vielleicht haben die Menschen heute eine Witterung dafür bekommen, daß mit unserem Tod unsere Zeit um ist. Aber in der Witterung dafür mag auch der Grund dafür liegen, daß wir uns nun auch viel Mühe geben, jenen Stachel des Todes vor uns zu verbergen. Das geschieht etwa so, wie es in unserer heutigen Gesellschaft ja auffallend der Fall ist: daß das Sterben in Kliniken abgeschoben wird und dann dort als eine Art Panne medizinischer Kunst vorkommt. Oder das geschieht so, daß der eigene Tod organisiert und zelebriert wird als eine letzte, aber siegreiche Verwirklichung menschlicher Freiheit und Selbstbestimmung. Oder das geschieht so, daß wir uns aus dem Biologiebuch sagen lassen: es sei halt das Natürlichste von der Welt, daß das Aufhören der Individuen zur Erhaltung der Arten dazugehört.
So oder so wird hier der Stachel des Todes ausgeblendet. Bei der Bitterkeit des Todes ist es noch mehr wie bei seiner Wirklichkeit so, daß uns das Wort Gottes dafür die Augen öffnen muß. Es sagt uns, daß im Tod nicht nur das Ende unseres Lebens über uns hereinbricht. In ihm wird auch die Bilanz aus ihm gezogen. Und das ist es, was die Wirklichkeit des Todes so bitter und giftig macht. Denn indem unsere Zeit aufhört, kommt heraus, daß zwischen unserem Anfang und unserem Ende nicht nur unser Leben, sondern auch unsere Schuld steht. Mit unserem Leben ist uns eine Verantwortung für unser Leben gegeben. Das unterscheidet uns vielleicht von der Fliege, die abends tot am Boden liegt. Jedenfalls unterscheidet uns das von ihr, daß wir von der Verantwortung einen sträflichen Gebrauch zu machen geneigt sind. Unser guter Vorsatz, die Schuld wiedergutzumachen, sofern wir sie überhaupt je sehen, wird dann als Illusion entlarvt. Nichts ist mehr wieder gut und auch nur besser zu machen. Was versäumt ist, ist versäumt. Und die von uns so gern gehegten Unterschiede zwischen großer und kleiner Schuld werden dann zerrinnen angesichts dessen, daß wir so oder so unwiederbringlich nichts mehr daran ändern und zu unserer Rechtfertigung vortragen können.
Doch nicht wir, Gott ist es, der diese Bilanz zieht. Und die seinige wird immer noch einmal eine andere sein als die, die wir in unserem Sterben und die Andere an uns Toten vollziehen mögen. »Richtet nicht«, sagt Jesus (Mt. 7,1), nicht weil es kein Gericht gäbe, aber weil wir die Richter nicht sind. »Mit deinem Urteil, o allmächtiger Gott, stehen und fallen wir«, hat Calvin gebetet (6). Diesem Urteil sind wir nicht etwa dadurch entzogen, daß wir im Tode nicht mehr sind. Im Sterben gehen wir nicht nur dem Tod, sondern auch Gott entgegen. Unser Tod bedeutet darum, daß uns nicht nur unsere lebenslange Flucht vor dem Tod, sondern auch die Flucht vor Gott nicht gelungen ist. Das Mißlingen der Flucht vor Gott, das wird zugleich das Urteil über unser Leben sein. Und dieses wird ein gerechtes und wird ein kritisches Urteil sein, wenn denn unser Leben voller Flucht und Ausflüchte vor Gott war. Ja, muß dieses Urteil über unser gelebtes Leben nicht für uns erst recht vernichtend sein? So daß unser Tod nicht nur die Beendigung, sondern die Verstoßung unseres Lebens sein muß! Nicht nur ein natürliches Ableben, sondern ein höchst unnatürliches »Zeichen des Gerichtes Gottes über uns« (7)!
Das betont das Neue Testament noch stärker als das Alte. Es nimmt in der Wirklichkeit des Todes die Bitterkeit des Todes wahr. Es sieht seinen Stachel darin, daß unser Leben in seinem Ende unter der Drohung des vernichtenden Urteils Gottes steht. Nicht daß wir den Tod nicht beseitigen können, aber daß er unter dieser Drohung steht, das macht ihn bitter. Unser Tod, sagt das Neue Testament, gehört mit unserer Schuld zusammen. Er ist der Sold, der uns für unseren Dienst in der Sünde ausgezahlt wird (Röm. 6,23). Er hat in ihr seinen für uns erst recht giftigen Stachel (1.Kor. 15,26). »Die Sünde gebiert den Tod« (Jak. 1,15). »Wenn ihr nach dem Fleisch (in der Sünde) lebt, so werdet ihr sterben« (Röm. 8,13). Durch die Sünde waltet der Tod als Fremdherrscher in der Welt (Röm. 5,12. 14.17). Ja, es ist der Teufel, durch den der Tod zur gottwidrigen Gewaltherrschaft wird (Hebr. 2,14). Das Neue Testament sieht den Tod nicht milder als das Alte. Daß es ihn nicht nur als Ende sieht, sondern unter der Drohung ewiger Pein, von Heulen und Zähneknirschen, das hängt damit zusammen, daß in der Mitte des Neuen Testaments der vor Augen steht, der den Tod unmittelbar als Fluch erlitten hat (Gal. 3,13).
Dabei dürfen wir uns den Zusammenhang von Sünde und Tod nicht nach Art einer schlechten Pädagogik vorstellen: »Wer nicht hören will, muß fühlen.« Der Tod ist nicht göttliche Rache für unser schlechtes Benehmen. Nicht Gott rächt. Im Tod rächt unsere Sünde sich. Röm.8,6: »Das Streben der Sünde ist der Tod, denn sie ist Feindschaft gegen Gott .« Das heißt: obwohl wir unser Leben in der Sünde für Leben halten mögen, es trägt schon den Tod in sich, es zielt darum praktisch auf ihn und gebiert ihn dann zuletzt aus sich heraus. In dem, was die Bibel Sünde nennt, sind wir weit entfernt von der Welt, in der Gott uns gut geschaffen hat. Es ist das Leben, in dem der Mensch sich selbst der Nächste ist, das Leben, in dem wir darum fürchten, zu kurz zu kommen, wenn wir nicht zuerst und immer wieder zuerst an uns selbst denken. Es ist darum das Leben, in dem der Mensch sich auf sich selbst allein verlassen muß. Im Grunde lebt er todeinsam, am entscheidenden Punkt immer wieder ganz allein, praktisch ohne Gott, und darum ohne den Mitmenschen und ohne die Mitwelt, und darum ohne Vermögen, sein eigenes Leben und seine Lebenszeit als Geschenk zu bejahen. Das nennt die Bibel Sünde. Sie ist schon in sich tödlich. Und die Bitterkeit des Todes liegt darin, daß er das von uns nicht mehr zu ändernde Tödliche der Sünde offensichtlich macht (8). Der Mensch erntet nun, was er gesät hat. Er, der sich auf sich selbst verlassen wollte und mußte, ist nun ganz und gar verlassen. Er, der im Grund Todeinsame, ist nun einsam tot.
Dieser Tod gehört für die Bibel nicht zur guten Schöpfung Gottes. Dieser Tod: der durch die Sünde geprägte Tod, der Tod, in dem der Mensch erntet, was er gesät, in dem der von Gott getrennte Mensch seinem Gott für immer fern ist und für immer in letzter Verlassenheit verendet. Dieser Tod ist »der letzte Feind» (1.Kor. 15,28f.). Und zwar ist er zuerst der Feind Gottes selbst, der nur von ihm und von ihm nur bestritten werden kann und der, wenn er unbestritten bliebe, Gott selbst bestreiten würde. Und nur weil er Gottes Feind ist, haben wir ihn auch als unseren Feind zu sehen und dürfen seine Bitterkeit beklagen. Denn ohne die Feindschaft Gottes gegen ihn dürfen wir uns ja wohl nicht darüber beklagen, daß unsere Sünde uns im Tod unseren Sold ausbezahlt.
3 Die Begrenzung des Todes
Mitten in diese Bitterkeit des Todes hinein spricht das Evangelium die Botschaft von der Begrenzung des Todes. Begrenzung heißt nicht: Abschaffung des Todes, aber Abschaffung seiner Absolutheit. Begrenzung heißt nicht, daß die Grenze, die er bedeutet, geleugnet wird, aber daß er seinerseits in seine Schranken gewiesen wird. Es ist etwas geschehen, sagt das Neue Testament, aufgrund dessen »dem Tod die Macht genommen ist« (2.Tim. 1,10) – seine Macht: nicht seine Wirklichkeit, aber seine Bitterkeit. Daß ihm seine Macht genommen ist, das ist die Tragweite dessen, daß er begrenzt worden ist durch das, was da geschehen ist. Er ist begrenzt worden – nicht durch uns Menschen; für uns bleibt er die Grenze unseres Lebens. Aber er ist durch Gott begrenzt worden, indem er in diesem Geschehen erwiesen hat, daß diese Grenze ihn nicht an seiner Verbundenheit mit uns zu hindern vermag. Wohlgemerkt, es geht um ein Geschehen in der Zeit, nicht um eine bloße Idee von einer göttlichen Unberührtheit von Zeit und Tod.
In der Folge dieses Geschehens, durch das die Macht des Todes in ihre Schranken gewiesen ist, werden im Neuen Testament Töne laut, die so kräftig sind, daß man sie für pure Übertreibungen zu halten geneigt sein mag. Da hört man die Christusgläubigen sagen: sie hätten den Tod bereits hinter sich. Da heißt es: Es sei der Mensch, wie wir ihn kennen, ein »alter« geworden, ja, ein gewesener, weil er mit Christus gestorben sei (Röm. 6,6–8). »Ich lebe, doch nicht ich lebe mehr« (Gal. 2,20). Denn »wir wissen, daß wir aus dem Tode in das Leben hinübergegangen sind« (1. Joh.3,14). Und so sagt der Jesus des Johannesevangeliums: »Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der ... ist aus dem Tod ins Leben hinübergegangen « (Joh. 5,24). Und weiter: »Jeder, der lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit« (Joh. 11,25).
Wie ist das gemeint? Denn an der letzteren Stelle heißt es weiter: »Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.« Das Hintersichhaben des Todes, von dem jene Stellen im Blick auf die Glaubenden reden, schließt also nicht aus, daß die Glaubenden immer noch sterben, so wie alle anderen auch. Das Hintersichhaben des Todes meint nicht, daß sie dadurch, und sei es auch nur teilweise, unsterblich geworden seien. Aber ist dann die Rede vom Hintersichhaben des Todes bloß ein blumiges Gerede, das auf den Sachverhalt des Sterbens keinen Einfluß hat? Das ist erst recht nicht gemeint. Vielmehr wird durch das Hintersichhaben des Todes die Stellung zum Sterben eine völlig neue. Es wird dadurch nicht die Wirklichkeit, aber die Bitterkeit unseres zeitlichen Endes genommen. Es wird dadurch nicht seine Tatsache verkannt, aber seine Macht entwaffnet. Es wird dem Menschen dadurch ein Friede geschenkt, der ihm auch dann nicht geraubt wird, wenn er stirbt – ein Friede, in dem er sein zeitliches Ende wohl nicht sich wünschen wird, aber auch nicht fürchten muß, ein Friede, in dem wir ruhig darum bitten dürfen: »Wollst endlich sonder Grämen aus dieser Zeit uns nehmen durch einen sanften Tod ...« Wie ist diese friedensstiftende Entwaffnung der Macht des Todes zustandegekommen? Was ist jenes Geschehen in der Zeit, das die Entgiftung der Bitterkeit des Todes heraufgeführt hat? Etwa die Auferweckung Jesu von den Toten? Ja, das Zeugnis von ihr ist ganz unentbehrlich. Denn sie bringt allererst ans Licht, worauf das Neue Testament vielmehr mit langem Finger hinweist als auf das Ereignis, in dem die Macht des Todes entwaffnet wurde. Dieses Ereignis ist der Tod Jesu. So merkwürdig das für uns tönen mag, aber für die neutestamentlichen Zeugen gibt es keine begründete Rede von der Entwaffnung der Todesgewalt und keinen Trost im Leben und Sterben außer im Blick auf den Tod Jesu. Die neuerlich in Mode gekommene Kritik, die dem biblischen »Wort vom Kreuz« einen Sadismus, eine Freude Gottes am Leiden vorwirft, ist so töricht wie die Auffassung, die das »Wort vom Kreuz« als Bejahung eines Sadismus mißversteht. Wie kann man so an der Sache vorbeisehen!
Der Tod Jesu am Kreuz wird ja nicht schöngeredet. Er ist eine Stunde realer Gottesfinsternis. In ihr schreit Jesus im Ernst: »Mein Gott,warum hast du mich verlassen?« (Mt. 27,46) Da tritt offenbar das ein, was uns an unserem Ende droht, und ist hier schrecklich wahr, nicht bloß Beendigung des Lebens, sondern seine Verstoßung, der Tod als Fluchtod (Gal. 3,13). Und Gott schaut dem nicht von oben herab zu, geschweige, daß er sich daran weidet. Sondern das ist das Licht, das an Ostern in diese Finsternis fällt: Gott ist mit diesem da und so Sterbenden und Gestorbenen. Gott ist mit diesem Gottverlassenen. Und also setzt sich Gott selbst hier der Gottverlassenheit aus, läßt sich hineinziehen in diesen Fluchtod und tut das, um nun so der Gott zu sein, dem selbst jener Stachel Leid tut, der unseren Tod zur Hölle machen muß. »O Tod, wo ist dein Stachel nun?« Nun trifft sein Stachel Gott selbst. Nun hat er so aber auch »seinen ›Stachel‹ ... im Leben Gottes zurücklassen müssen.« (9)
Denn indem inmitten der Gottverlassenheit dieses Toten Gott mit ihm ist, ist dieser Eine nicht allein. Da, wo in letzter Verlassenheit die Todeinsamkeit herrscht, ist vielmehr ein Miteinander. Da ist intimste Nähe Gottes zu diesem Verlassenen. Da offenbart sich die Liebe Gottes. Sie offenbart sich darin, daß er den Gottverlassenen nicht verläßt, seine Gottverlassenheit mit ihm teilt, auf sich und in sich hinein nimmt. Damit hat der Tod seinen Stachel verloren. Den hat er ja durch unsere Sünde, die uns von Gott trennt und uns in die Todeinsamkeit treibt und stürzt. Eben die Liebe Gottes, in der er dem den Fluchtod Erleidenden nahe ist, entwaffnet die Macht des Todes. Im Blick darauf sagt das Neue Testament, daß Jesus diesen Fluchtod erlitt »für uns« (Gal. 3,13). Gott steht zu diesem einen ganz von Gott Verlassenen und steht zu ihm so, daß der Stachel der Gottverlassenheit ihn selbst verwundet, damit uns das zugute komme. Er offenbart damit seine Liebe an diesem Einen, der an unserer Stelle steht, aber in diesem Einen seine Liebe zu all seinen Menschenkindern und offenbart sie so, daß für uns der Tod keinen Stachel mehr haben muß.
Und wer an Gott in Jesus Christus glaubt, der darf sich daran halten. Der darf wissen, daß er in Christus den Tod hinter sich hat – nämlich den Tod, den Christus gestorben ist: den Tod als Fluchtod, den Tod als die ewige Verstoßung unseres Lebens, den Tod als die bittere Konsequenz unserer Sünde, unserer Trennung von Gott, den Tod, der den höllischen Stachel der Gottverlassenheit hat. Dieser tödlichen Folge seiner Sünde ist er entnommen. Dem ist er entnommen, weil er nun überhaupt sich selbst entnommen ist – nämlich sich als dem Menschen, der einsam für sich allein lebt. Das tödliche Resultat des bloßen Fürsichseins hat Gott im Sterben Jesu auf sich genommen und hat es überwunden durch sein Fürunssein, d.h. durch seine Liebe. Er hat es überwunden, indem er in Christus den Menschen am bitteren Ende alles Alleinseins nicht allein gelassen, sondern von seinem Alleinsein befreit hat. Damit hat er für uns ein neues Leben eröffnet. Und dieses neue Leben ist dadurch gekennzeichnet, daß wir darin uns entnommen sind. Wir als die bloß für uns Lebenden sind uns entnommen, weil hineingenommen in Gottes Liebe. Wir gehören nicht mehr uns selbst. Wir gehören uns selbst nur noch in der liebenden Beziehung Gottes zu uns und in seiner Beziehung zu unseren Mitmenschen.
Mit Paulus: »Keiner lebt und keiner stirbt für sich selbst allein. Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum, ob wir leben oder sterben: wir gehören dem Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und auferstanden« (Röm. 14,7–9). Unter Berufung darauf sagt der Heidelberger Katechismus, unser einer Trost liege darin, daß wir im Leben und Sterben statt uns unserem getreuen Heiland gehören. Daß wir im Leben und Sterben uns entnommen, weil in Gottes Liebe genommen sind, heißt nicht, daß wir dem Sterben entnommen sind, aber heißt, daß unserem Tod der Stachel genommen ist. Das heißt, daß wir getrost sterben dürfen, »entschlafen«, wie das Neue Testament das von jenem Stachel befreite Sterben nennt. Der davon befreite Tod ist kein Fluch mehr; der gehört zur guten Schöpfung Gottes. Er ist vom Fluch befreit, indem wir in unserem Tod dem Gott begegnen, der unser Richter, aber um Christi willen unser barmherziger Richter ist, »der uns mit Liebe begegnet«. Aber gerade weil dem Tod an unserem Ende jener Stachel genommen ist, bekommt auch unser Leben vor dem Tod seine Wichtigkeit. Weil wir in Christus schon jetzt uns gnädig entnommen sind durch die Liebe Gottes, können wir es eigentlich nur noch selbst auch in Liebe leben. Wir können darum gar nicht genug für das Leben eintreten und nicht genug gegen den gewaltsamen, durch menschliche Achtlosigkeit und Menschenverachtung herbeigeführten Tod. Wie wollen wir im Sterben Christus gehören und also getrost ein, wenn wir im Leben unsere Zugehörigkeit zu ihm verleugnen?
4 Das Jenseits des Todes
Aber bedeutet das nicht zuletzt doch, daß mit dem Tod alles aus ist? Wir kommen scheinbar erst jetzt zur Frage unseres Themas. Wir können tatsächlich erst nach den zuvor gegangen Schritten direkt auf diese Frage zu reden kommen. Wer die vorherigen Schritte etwa für einen unnötigen Umweg hält, der sollte überlegen, ob seine Frage nach einem »Leben nach dem Tod« nicht die Frage seines egoistischen Ich sein könnte, das auch über den Tod hinaus sich selbst behaupten möchte. Diesem Ich sagt Jesus: »Wer sein Leben erhalten will, gerade der wird es verlieren. Nur wer es verliert um meinetwillen verliert (an mich ›verliert‹), der wird es finden« (Mt.16,25). Die Frage nach einem »Leben nach dem Tod« stellt sich in der Bibel nicht, weil wir sie aufwerfen, nicht, weil wir fordern, es dürfe mit unserem Lebensende nicht alles aus sein, nicht, weil wir schlußfolgern: Wenn wir im Tod an unsere Grenze kommen, dann muß es auch ein Jenseits dieser Grenze geben.
Die zuvor gegangenen Schritte waren auch darum nötig, um uns klarzumachen, daß es auf die so gestellte Frage nach einem »Leben nach dem Tod« keine Antwort gibt und daß die trotzdem von uns darauf ersonnenen Antworten bloß unsere Träume sind, vielleicht schöne Träume, denen aber noch lange keine Erfüllung entspricht. Vielmehr ist es so, daß Gott selbst in seinem Wort nach der Bibel jene Frage aufwirft. Nicht weil der Tod die Grenze unseres Lebens ist, aber weil Gott die Grenze in unserem Tod ist und weil er seiner Bitterkeit ihren Stachel, ihre uns Sünder zurecht erschreckende Macht nimmt, darum stellt sich jene Frage. Darum fragt sich, ob es Gott mit unserer Befreiung zu getrostem Sterben sein Bewenden haben läßt, um es im übrigen für uns damit alles aus sein zu lassen. Begrenzt Gott wohl den Tod in seiner Bitterkeit, um aber im übrigen die Wirklichkeit des Todes für uns grenzenlos sein zu lassen?
Auf diese Frage, die das Wort Gottes aufwirft, gibt es eine Antwort. Diese Antwort hat die Verfasser der Bibel nicht so gesprächig gemacht, wie es die Religionen sonst in Sachen »Leben nach dem Tod« sind. Aber die Antwort ist so, daß wir uns daran genügen lassen können. Und indem dasselbe Wort Gottes, auf das wir schon zuvor zu hören suchten, uns diese Antwort gibt, wird für uns dabei nicht ein völlig neues Buch aufgeschlagen. Es werden nur die Linien weiter ausgezogen, auf denen wir bisher zu denken hatten. Dementsprechend lautet die Antwort so: Damit daß Gott in Christus dem Tod seinen giftigen Stachel nimmt, beweist er, daß er den Tod überhaupt in seiner Hand hat. Damit, daß er die Macht des Todes, Sold für unsere Sünde zu sein, in die Schranken weist, stellt er klar, daß der Tod überhaupt an ihm seine Schranke hat. Damit, daß die Sünde schon ihre Macht verloren hat, uns von Gott zu trennen, hat letztlich auch bereits der Tod seine Macht verspielt, uns ewig von Gott trennen zu können. Nicht gibt es »ein« Jenseits des Todes. Das Jenseits des Todes ist der dem Tod jenseitige Gott.
Und nicht hat der Mensch ein solches Jenseits. »Gott ist sein Jenseits.« (10) Und also: »Unser Tod ist unsere Grenze. Unser Gott aber ist die Grenze auch unseres Todes.« (11) Er bleibt, wenn es mit uns zu Ende ist – mit Paulus: »Gott wird sein alles in allem« (1.Kor. 15,28).
Aber nun war unser langer Weg bis zu diesem Punkt auch darum nötig, weil wir ja jetzt auch sagen können, wer dieser Gott ist, der bleibt, auch wenn für uns sonst keine Bleibe mehr ist. Es ist der Gott der Liebe. Er ist der, der sich mit uns verbindet – so nah, daß der Stachel unseres Todes in seinem Leben zurückbleiben konnte – so nah, daß er von uns gar nicht mehr anders zu denken ist als der menschenfreundliche »Gott mit uns«. Wir verstehen darum nun auch, was das heißt, daß Gott bleibt, ewig ist. Ewigkeit heißt bei ihm nicht unendliche Zeit, weil, wer unendlich Zeit hat, nie Zeit hat. Ewigkeit heißt bei ihm auch nicht Zeitlosigkeit, weil ein solcher Gott mit uns zeitlichen Wesen ewig nichts zu tun haben könnte. Gott hat es aber in jenem bestimmten Ereignis in der Zeit gar sehr mit uns zu tun – und zu leiden – bekommen. Seine Ewigkeit schließt nicht aus, daß Gott für uns Menschen Zeit hat, sich Zeit nimmt. Seine Ewigkeit besteht darin, daß er immer der Erbarmer ist, als der er sich erwiesen hat, indem er sich für uns Zeit nahm: ohne Vergangenheit, in der uns das nicht schon zugedacht war, und ohne Zukunft, in der das nicht gelten wird. »Seine Güte währet ewiglich « (Ps. 118,1).
Wenn es aber dieser Gott ist, der ewig ist, dieser, der das Jenseits unseres Todes ist, dem wir darum in unserem Sterben entgegengehen und der in unserem Tod die Grenze des Todes ist, dann dürfen wir sagen: Es ist nicht ein von uns gelöster oder gar von uns erlöster Gott. Es ist der barmherzige, der mit uns unlöslich verbundene »Gott mit uns«. Daß der ewige Gott auch jenseits unseres Endes der Gott mit uns ist, das versteht sich freilich nicht von selbst. Das ist nicht automatisch so. Das ist nur wahr aufgrund einer freien, gnädigen Entscheidung Gottes, wahr nur aufgrund einer neuen Tat der Treue Gottes. Diese Tat ist das, was das Neue Testament unsere Auferstehung von den Toten nennt: die Tat des Gottes, »der da lebendig macht die Toten und ruft dem, was nicht ist, daß es sei» (Röm. 4,17). Eben aufgrund dieser Tat wird und ist es wahr, daß Gott auch jenseits unseres Todes mit uns ist. Und so sehr diese Tat ganz in Gottes frei-gnädiger Entscheidung liegt, so dürfen wir doch getrost auf sie hoffen. Wir dürfen es im Blick auf Jesus Christus. Denn in ihm ist Gott so für uns eingetreten, daß wir eben dessen gewiß sein dürfen: Wenn schon die Trennmacht der Sünde uns nicht mehr von Gott trennen kann, dann kann auch der Tod uns nicht mehr von Gott lösen. Im Blick darauf dürfen wir gewiß sein, daß uns nichts mehr »zu scheiden vermag von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn» (Röm. 8,38f.). Darum sagt Paulus: »Wie in Adam alle sterben, so werden in Christus sie alle lebendig gemacht» (1. Kor. 15,22).
Er ist also nicht nur in unserem zeitlichen Leben der Gott mit uns. Er ist nicht nur vorübergehend unser Gott und dann einmal nicht mehr. Er ist ewig dieser Gott. Und darum, wenn unser Leben irdisch nur noch Vergangenheit ist, dann bleibt es doch in Gottes Ewigkeit ihm gegenwärtig. Dann haben wir zwar keine weitere Zeit, aber teil an Gottes ewigem Leben. »Dieses Verwesliche«, sagt Paulus, – ohne daß es aufhört, dieses Verwesliche zu sein (sonst wären wir ja nicht mehr die Menschen, die das und das irdische Leben hatten) – »wird anziehen Unverweslichkeit« (1.Kor. 15,54). Indem der Tod zwar unsere Grenze, Gott aber die Grenze dieses Todes ist, ist der Tod nicht ewig, werden aber wir im Mit-uns-sein Gottes mit uns Gestorbenen verewigt. Wir werden dann zwar nichts mehr sein außer dem, daß Gott uns alles ist. Aber Gott alles in allem und nicht ohne alles! Da erfüllt es sich: »Und Gott wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein« (Offb. 21,3).
Daß unser Leben jenseits des Todes keine zeitliche Fortsetzung hat, aber durch Gott hineingenommen wird in Gottes ewiges Leben, heißt wohl, daß Gott auch jenseits unseres Lebens der Gott mit uns ist. Das heißt aber auch, daß Gott dann auf eine neue Weise mit uns sein wird als in der, in der er es in unserer irdischen Zeit war, wie gut von uns geglaubt und erkannt oder auch nicht. Was er in unserer Zeit war: der Gott mit uns, dem hat er gewiß ewig nichts Anderes hinzufügen, – außer dem, daß er das ewig bewahrheitet – außer dem, daß er es auch nach unserem Sterben bekräftigt, daß er nicht vergeblich schon vor unserem Sterben dieser Gott mit uns war. Was bedeutet die ewige Bewahrheitung dessen?
Zum einen: »Wir werden ihn sehen, wie er ist« (1. Joh. 3,2). »Denn wir sehen jetzt nur wie mittels eines Spiegels in rätselhafter Gestalt, dann aber von Angesicht zu Angesicht« (1. Kor. 13,12). Daß Gott schon jetzt mit uns ist, das ist uns jetzt, ob geglaubt oder nicht, immer wieder sehr verborgen, verdunkelt, fraglich, bezweifelt. Dann aber wird das als die ewige Wahrheit leuchten und schließlich uns ein-leuchten. Zum anderen: Diese letzte Wahrheit wird wohl keine neue sein gegenüber der jetzt schon gültigen. Aber indem wir sie dann erst recht erkennen, wird sie damit ihre alles erneuernde Kraft erst recht an uns beweisen. So daß dadurch dann, wie es Jesus in den Gottesreichsgleichnissen verheißt, die Hungrigen und Durstigen ewig gesättigt, die Gekränkten ewig geheilt und den Weinenden ewig ihre Tränen getrocknet, uns Sündern ewig die Sünden vergeben sein werden! Zum dritten: In der Kraft dieser Wahrheit, daß Gott mit uns ist, wird keiner Gott ewig verloren sein. Während wir im jetzigen Leben füreinander immer nur sehr begrenzt Zeit haben und dann einander loslassen müssen, werden wir dann ewig zusammen sein, »eine Riesenmenge, die niemand zählen kann« (Offb. 7,9), vereint durch den, der ja nicht bloß mit »mir«, sondern mit uns ist, und vereint zum Lobpreis dieses Gottes.
Das ist das ewige Leben. Alles zusammengefaßt in den Worten, die der Dichter Dostojewski einen Trinker in seinem Elend sprechen läßt: »Und er wird alle richten und allen verzeihen, den Guten und den Bösen. Und wenn er mit allen zu Ende sein wird, dann wird er auch zu uns sprechen: ›Kommt auch ihr, wird er sagen, kommt, ihr Säufer, ihr Schwächlinge, ihr Schamlosen!‹ Und wir alle werden kommen und ohne Scheu vor ihn treten. Und er wird sagen: ›Ihr Schweine! Ebenbilder des Tieres, doch her mit euch!‹ Und die Weisen und Klugen werden ausrufen: ›Herr, warum nimmst du sie auf?‹ Und er wird sagen: ›Ich nehme sie auf, ihr Weisen, ich nehme sie auf, ihr Klugen, weil keiner von ihnen geglaubt hat, daß er dessen wert ist.‹ Und er wird seine Hände über uns ausstrecken, und wir werden niederfallen und weinen – und alles verstehen. ... Herr, dein Reich komme!« (12)
An diesem ewigen Leben dürfen wir – schon jetzt im Glauben teilbekommen. Und wer schon jetzt im Glauben daran teilbekommt, der wird seine Hoffnung auf das ewige Leben damit bewähren, daß er heute an die Seite der Verstoßenen, der Erniedrigten und Beleidigten tritt und ihnen die Hand reicht, sie aufnimmt und sich ihrer annimmt. Und der wird seine Hoffnung auf das ewige Leben auch damit betätigen, daß er die schon Gestorbenen nicht behandelt als Vergangene, die für ihn erledigt sind. Der wird mit ihnen umgehen so, wie es die Schrift von Abel sagt, daß Gott »durch ihn noch redet, wiewohl er gestorben ist« (Hebr. 11,4). Die letzten Sätze, die Karl Barth schrieb, bevor er starb, reden von den uns Vorangegangenen: »›Gott ist kein Gott der Toten, sondern der Lebendigen.‹ ›Ihm leben sie alle‹ – von den Aposteln bis zu den Vätern (und Müttern) von vorgestern und gestern. Sie haben nicht nur das Recht (, sondern die Aktualität), auch heute ... aufmerksam gehört zu werden.« (13) Eine Gemeinde, die so ihre Hoffnung bewährt, bezeugt damit, daß der Heilige Geist Jesu Christi, dem wir im Leben und Sterben gehören, uns des ewigen Lebens versichert und ihm fortan zu leben von Herzen willig und bereit macht.
1. E. Jüngel, Tod, Stuttgart/ Berlin 1971, S. 7. Die folgenden Ausführungen
verdanken diesem Buch so viel wie K. Barth, Kirchliche Dogmatik III/2, S. 524–
780.
2. Nach E. Jüngel, aaO S. 62.
3. So Heidelberger Katechismus Fr. 1. Hingegen redet Fr.57 in einer
bemerkenswerten Mischung aus griechischem Unsterblichkeitsdenken und
christlichem Auferstehungsglauben: Die Hoffnung richtet sich darauf, »daß nicht
allein meine Seele nach diesem Leben alsbald zu Christus, ihrem Haupt,
genommen wird, sondern auch, daß dies mein Fleisch durch die Kraft Christi
auferweckt, wieder mit meiner Seele vereinigt ... werden soll.«
4. F. Schiller, Die Braut von Messina (1803), Schlußworte.
5. E. Jüngel, aaO S. 79.
6. J. Calvin, Gebete zu den Vorlesungen über Jeremia und Hesekiel, übers. von W.
Dahm, München 1934, S. 11.
7. K. Barth, Kirchliche Dogmatik III/2, S. 725f.
8. E. Jüngel, aaO S. 99.
9. E. Jüngel, aaO S. 142.
10. K. Barth, Kirchliche Dogmatik III/2, S. 769.
11. AaO, S. 743.
12. F. M. Dostojewski, Schuld und Sühne, Gütersloh o.J., S. 26f.
13. K. Barth, Letzte Zeugnisse,
Vortrag auf dem Lippischen Ökumenischen Kirchentag in Bad Salzufeln am 17. Juni 2000
Gedruckt in: Eberhard Busch, Verbindlich von Gott reden. Gemeindevorträge, Neukirchen-Vluyn, Wuppertal 2002, 257-271
Professor Dr. Eberhard Busch
Eberhard Busch, Leben nach dem Tod (zum Download als WORD-Datei)